Lesehäppchen: Wanted Judd

Aus dem Nächstgemeinschaftsbuch mit der unvergleichlichen Sanna:

Mit einem Becher Kaffee in der Hand lehnte Casey Cat Caldwell lässig am Geländer vor dem Saloon und beobachtete das aufgeregte Hin und Her schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite. Der Leichenbestatter brachte auf einem Maultierkarren einen grob gezimmerten Sarg gefahren, dem die sensationslüsternen Bewohner von Cobb Town bloß widerwillig Platz machten. Jeder wollte einen Blick in die Bank und auf den überlebenden Kassierer der Global Bank werfen und natürlich auch aus dessen Mund von dem Überfall erfahren. Andere dachten eher an ihr angelegtes Geld und schrien wild mit den Armen fuchtelnd auf den Bankdirektor ein. Der Sheriff und sein Deputy waren längst überstürzt mit einer Meute Freiwilliger auf der Jagd nach dem dreisten Räuber, der gemütlich in die Bank geschlendert war, um wenige Minuten und einen Schuss später mit einem prallen Geldsack zu flüchten.
Inzwischen hatte sich ein Künstler neben dem Kassierer niedergelassen und zeichnete eifrig nach dessen Angaben ein Phantombild. Tuschelnd beugten sich die Leute über seine Schulter, um sich nur ja keinen Kohlestrich entgehen zu lassen.
„Das ist doch dieser Judd“, rief plötzlich jemand aus. Cat spitzte die Ohren und nippte an seinem lauwarmen Kaffee.
„Genau.“
„Judd Darryl Barnes.“
„ Wer hätte das gedacht.“
„… wohnt ein Stück weit raus beim Elk Creek …“
„… allein. Hat sich noch kein Frauenzimmer gesucht.“
„… sympathisch …“
„… hätte nie angenommen, dass er so einer ist.“
„ … hatte geglaubt, er wolle wieder Vorräte kaufen.“
Ein junger Bursche schnappte sich die angefertigte Zeichnung und rannte damit rüber zur Cobb Town Daily, wahrscheinlich, um Steckbriefe zu drucken.
Cat gab seine lässige Haltung auf, tätschelte die Nase des vor ihm angebundenen hässlichen Pferdes und ging in den Saloon zurück. Bestimmt war seine Mahlzeit mittlerweile fertig. Und tatsächlich brachte der Wirt ihm sofort einen Teller mit Bratkartoffeln und Steak, sobald er sich an einen freien Tisch setzte. Unsicher wurde er gemustert. Wie immer. Cat hatte sich längst daran gewöhnt, dass die Leute ihm misstrauisch begegneten, denn sein Haar war schulterlang und blauschwarz. Er bändigte es mit einem blauen Stirnband, damit es ihm nicht ständig ins Gesicht fiel, das einen leichten kupferbraunen Teint hatte. Ein Erbe seiner indianischen Mutter, einer Absarokee oder Crow, wie die Weißen sie nannten. Dagegen hatte ihm sein Vater die grünen Augen vermacht.
„Das frische Gras Irlands leuchtet in deinem Gesicht“, hatte Dad stets spaßend gesagt. Sein Dad …
„Noch einen Kaffee?“
„Gern.“
„Sie sind auf der Durchreise?“ Der Wirt schenkte ihm nach und stellte die Kanne vor ihm auf dem Tisch ab, worüber Cat nicht böse war, denn der Kaffee war köstlich.
„Hmmhmm.“ Er begann hungrig Bratkartoffeln in sich hineinzuschaufeln.
„Geschäftlich?“
Cat zuckte mit den Schultern. Möglich, dass es nach diesem Vormittag geschäftlich werden würde. Aber das musste er dem neugierigen Wirt nicht auf die Nase binden. Ein Ziel hatte er eigentlich nicht gehabt, außer neuerlichen Ärger zu finden. Das war ihm offenbar gelungen.
„Über Nacht wollen Sie wohl nicht bleiben? Ich kann Ihnen ein bequemes Zimmer anbieten. Und nette Gesellschaft, falls Sie nette Gesellschaft mögen.“ Ein Augenzwinkern sollte ihm mitteilen, um welche Art netter Gesellschaft es sich handelte. Cat hatte sie bereits bemerkt, die leichten Damen, die in diesem Saloon arbeiteten. Auch sie umstanden den Kassierer, hungrig nach Abwechslung in ihrem langweiligen Leben in einer ansonsten langweiligen Stadt. Begeistert würden sie nicht sein, falls der Wirt sie aufforderte, mit ihm anzubändeln. Schließlich war er doch ein Indianer. Komisch, denn für die meisten Indianer war er ein Weißer.
„Wo kann ich Vorräte kaufen?“, fragte Cat, nachdem er ein Stück Steak mit Kaffee runtergespült hatte. Der Wirt zog eine enttäuschte Miene, als ihm aufging, dass Cat nicht bleiben würde und auf das Weibsvolk ebenfalls keine Lust hatte.
„Der alte Higgins hat einen Laden gleich um die Ecke. Da bekommen Sie von der Bibel bis zum Frack alles, was Ihr Herz begehrt.“
„Eine Bibel brauche ich ganz dringend“, erklärte Cat trocken.
„Äh … ja.“ Der Wirt räusperte sich, da er offenbar nicht wusste, ob er scherzte oder nicht. Verlegen trollte er sich hinter seinen Tresen und begann dort herumzuräumen.
Cat aß in aller Ruhe auf, leerte seinen Becher und hinterließ ein paar Münzen, um seine Mahlzeit zu bezahlen.

4 Kommentare zu “Lesehäppchen: Wanted Judd”

  1. Daria sagt:

    Das klingt schon mal gut…. toll, jetzt habe ich wieder ganz großen Hunger auf mehr…. bitte lasst mich nicht so lange hungern 😀 !!

  2. BriMel sagt:

    Eine einfach tolle Geschichte <3

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