Zwischengedanken #3

Ich bin heute bei Recherchen zu verschiedenen Themen (Paarungsverhalten von Rotmilanen, Proteinsynthese, traditionelle Tänze amerikanischer Ureinwohner und Farmmethoden in Australien) zufällig über einen Blogrezension zu „Eisiges Feuer“ gestolpert. Keine Ahnung wie oder warum, das ist ein Google-Geheimnis, dem ich nicht nachgehen will.

Die Rezensentin mochte meinen Schreibstil und die Welt als solche, findet aber, dass ich meinen „Bottom“ zu viel zu verweiblicht und vor allem verwirrend und inkonsequent darstelle. Lys ist mal knallhart, dann wieder weich und in „Tränen aufgelöst“. Das hat sie schon bei den Am’churi abgestoßen.

Das lässt mich grübeln, denn ich denke bei meinen Helden nicht in „Top oder Bottom“-Kategorien. Sie sind Menschen. Punkt, aus, Feierabend.

Lys ist ein sehr junger Mann Anfang 20. Vom Typ her sehr emotional, aber er muss sich hinter Masken verstecken, darf nie so sein, wie er wirklich ist. Das wird an vielen Stellen des Buches ausdrücklich benannt … Aber egal. Lys ist ein komplizierter Typ, der in keine Schubladen passt. Er ist weder „verweiblicht“ noch ein Bottom, auch wenn er sich Kirian hingibt.

Ni’yo ist dank seines Elfenerbes äußerlich klein und schmal, aber eben auch nicht „verweiblicht“. Ja, beide weinen. Dafür foltere ich sie schließlich, bis sie über ihre Grenzen geraten und zusammenbrechen. Kirian und Jivvin weinen zwischendurch genauso …

Mein „weiblichster“ Held ist Rouven aus Nayidenmond. Er hat eindeutig eine feminine Ader.

Was mich gerade umtreibt, ist weniger die Frage, ob ich eine Leserin verprellt habe oder mich mit meinem Werk „unverstanden“ fühlen will, sondern: Wo genau liegt hier gerade mein Problem? Meine schwulen Helden werden als „verweiblicht“ und ich fühle mich angegriffen?

Ich glaube, es ist eher die Emanze in mir, die gerade die Stacheln aufstellt, denn impliziert wird hier, dass „weiblich“ gleichbedeutend mit „schlecht ist, oder? Nervt mich ja schon, dass der Vorwurf von einer Frau kam. Tolles Selbstbildnis? Alles frauliche ist schlecht?

Konkret bekrittelt werden:

– Tränen

– Emotionalität

– devote Hingabe an den Partner

Okay. Eigentlich bin ich schon zufrieden, dass niemand meine Jungs als „zickig“ bezeichnet. Eine klischeetypisch weibliche Eigenschaft, die ich hasse wie die Pest. Also: Nicht alles falsch gemacht. *schnauf*

Zu den Tränen: Meine Kerls heulen nicht, weil sie sich einen Fingernagel abgebrochen haben. Und auch nicht, weil das Lieblingshemd ein Loch hat. Ich lasse sie dann weinen, wenn sie körperlich, geistig und/oder seelisch am letzten Ende der Fahnenstange angekommen sind. Wer dann immer noch nicht weint, ist tot. *hugh*

Emotionen: Ja, Männer und Gefühle, das ist ein schwieriges Kapitel. Der echte Kerl von Welt unterdrückt seine Gefühle statt darüber nachzudenken und redet auch nicht endlos darüber. Ich bin mir bewusst, dass ich mich da nicht immer so strikt dran halte bei meinen Helden … Aber es sind nun mal Menschen! Jeder Mensch ist anders, jeder Mann ist anders und Gefühle haben Männer genauso wie Frauen. Wenn ich mal auf die Weltliteratur blicke und mir „Die Leiden des jungen Werther“ anschaue, dann ist es sogar international anerkannt, dass ein liebender, liebeskranker Mann zum totalen Weichei und sogar Selbstmörder mutieren darf … Aus Eifersucht wurden Kriege begonnen und ganze Völker vernichtet (Helena > Troja), über Romeo und Julia muss jetzt auch nicht weiter philosophiert werden …

Männer dürfen Gefühle haben. Fein! 🙂 Ich bemühe mich stets, keine jammrigen Weicheier zu konstruieren. Sollte mir das einmal krass misslingen, haut mich bitte!

– Devote Hingabe an den Partner: Für mich der ultimative Beweis von Vertrauen und Liebe, wenn man sich bedingungslos fallen lässt und einem anderen Menschen die Verantwortung für Körper und Seele überlassen kann. Ja, das ist sehr romantisiert und entspricht nicht immer der Realität von Beziehungen. Egal ob zwischen Männern, Mann und Frau oder zwei Frauen. Allerdings schreibe ich ja auch Gay Romance, nicht wahr?

Tränen, Emotionalität und devotes Verhalten sind für mich alles keine negativen Eigenschaften, solange das Maß stimmt. Wenn es das ist, was man unter „verweiblicht“ versteht, kann ich also gut damit leben! Trotzdem bleibt da der kleine Stachel, dass da wieder so ein Geschlechterkrieg draus gemacht werden muss …

Wann ist ein Mann ein Mann?, fragte ein von mir sehr geschätzter Künstler.
Wann ist eine Frau eine Frau?, frage ich mich. Und warum kann das Yin-Yang-Prinzip nicht akzeptiert werden, dass uns sagt: Jeder Mann hat etwas Weibliches, jedes Frau etwas Männliches, und nur beides zusammen ergibt eine Einheit!

So, bevor ich mich darin versteigere, ob nun bei schwulen Paaren zwanghaft eine Seite stärker weiblich sein muss als die andere, höre ich lieber auf. Es lebe die Vielfalt und Individualität!

 

10 Kommentare zu “Zwischengedanken #3”

  1. Hallo,

    da kann ich nur sagen: Gut gebrüllt, Löwin! Und das ist durchweg positiv gemeint.
    Ich kann Dir in allem nur zustimmen, zu 200%, und in den Büchern, die ich von Dir gelesen habe, stimmt die Mischung. Auch 200%

    Deine Bücher und Protas drücken genau deinen letzten Satz aus, und so sollte es auch sein:

    Es lebe die Vielfalt und Individualität!

    Viele Grüße, Chris

  2. Karolina sagt:

    Hi!
    Da kann ich dir nur zustimmen.
    Es stößt mir in der letzten Zeit öfter sauer auf, warum man sich neuerdings? ständig rechtfertigen „muss“, wenn man schreibt, wie man schreibt.
    Das macht mich in meiner kleinen Ecke irgendwie traurig.
    Menschen sind Menschen, und die haben Gefühle. Genau die, dürfen beschrieben werden. Punkt.
    Der eine ist ein Macho, und kann doch butterweich reagieren, der andere scheint ein zartbesaiteter zu sein, macht aber durchaus den vermeintlich stärkeren gehörig die Hölle heiß…ach ja und die Frauen…Die Damenwelt hat es genauso faustdick hinter den Ohren. Von Weichei ist die eine oder andere unter uns weit entfernt.
    Beide Geschlechter sind dies, das oder jenes. Grad wie es passt.
    Wenns passt-wird geweint, gebrüllt, geflucht, oder Mann verhält sich sehr ruhig…alle Reaktionen dürfen beschrieben werden!
    Weil es diese Reaktionen nun mal in echt gibt!
    Was wäre, wenn man all das wegließe?
    Sex. ….toll …nett…gähn…
    😉
    Mache ich mir das zu einfach? Nein, denke nicht. Denn die Mischung machts.

    • Sandra sagt:

      Nein, zu einfach machst du es dir bestimmt nicht, im Gegenteil – du denkst darüber nach. 🙂
      Manche Leute scheinen damit überfordert, wenn der Buchheld nicht dem Klischee entspricht und sich standhaft weigert, in irgendeine Schublade passen zu wollen. Dabei sind die wenigsten Menschen absolut einfach gestrickt in ihren Reaktionen (in ihrer Wahrnehmung der Welt dann vielleicht schon?)

  3. Pegasus sagt:

    Huhu Sandra,
    ich kenne das betreffende Buch jetzt nicht… kann mir daher keine Meinung bilden wo einer der Chara „verweiblicht“ wird. Ich kann es nur bei denen dessen Storys ich auch kenne und ich muss sagen mir ist keiner aufgefallen der ein Weichei wäre! Ich habe es schon immer gehasst wenn es hieß: Männer weinen nicht… bullshit.
    Aber ich mag auch extrem tuntige Typen (Vampire (ich selbst habe auch einen für ein Rollenspiel erschaffen und hieß der aus „Tanz der Vampire“ nicht Harald? *kicher*)
    Männer dürfen alles was Frauen auch dürfen. Wie die Schlosshunde heulen, sich überschwänglich freuen, sich anzicken ^^… warum auch nicht? Mensch bleibt Mensch, ob mit oder ohne Zippfel zwischen den Beinen. *grins*
    Männer dürfen sich auch beim Sex die devote Rolle aussuchen, weil Frau das auch macht, genau wie es Frauen gibt die dabei gerne mehr als das sagen haben. Warum auch nicht? Solange es beiden gefällt ist alles gut.
    Deinen Jungs sind Männer, keine Mäuse und sollten das auch bleiben. Ich mag die Vielfalt, von denen die ich bis jetzt kennensgelernt habe und hoffe es kommen noch ein paar zusammen.
    LG Pegasus

    • Sandra sagt:

      Hallo Pegasus,

      wäre schön, wenn weltumfassende Toleranz und „so what?“ für jeden Menschen eine Tatsache wäre … Klappt leider nicht und wird es garantiert auch nie. Vieles ist ja auch Geschmackssache und Geschmack ist nicht streitbar.
      Was ich wirklich schlimm finde ist diese antiweibliche Haltung von einigen Frauen, die garantiert nicht merken, was sie da gerade tun. So ist es mir bei der Veröffentlichung von „Flüsterwind“ passiert, dass mir eine Leserin schrieb: „Da kommt ja eine Frau als Heldin drin vor. Geht ja gar nicht, wer will denn schon was über Frauen lesen?!“
      Auch wenn sie garantiert damit bloß meinte, dass sie Gay Romance lieber mag als Hetero-Liebesromane, ist der Satz wirklich erschreckend. Meine Antwort, dass ich bevorzugt über Menschen schreibe und Frauen tatsächlich auch Menschen sind, hat sie nicht mehr kommentiert …
      Manche Leute sind eben schwierig.

      Liebe Grüße,
      Sandra

  4. Stine sagt:

    „Da kommt ja eine Frau als Heldin drin vor.“??? Öh, ja Sandra, mal ehrlich…wie kommst du denn dazu eine starke Frau in den Mittelpunkt zu stellen? Dornröschen wird wachgeküsst, Schneewittchen wird wachgeküsst (jedenfalls bei Disney), Rapunzel wird aus dem Turm gerettet undsoweiter…Frauen kriegen alleine doch nichts hin und DU schreibst dann doch tatsächlich über eine starke Frau…Geht ja gar nicht, wer will denn schon was über Frauen lesen?!

    Spaß beiseite…es wird immer schwierige Leute geben, schwer zufrieden zustellen. Deine Frauen sind zu stark (komisch das sich noch keiner über Elyne, Aniz u.a. beschwert hat), deine Männer zu weichgespült.

    Lys und Kirian sind großartig, Ni’yo und Jivvin haben mich für dieses Genre begeistert. Und wirklich, wenn sie nach allem, was sie durchmachen mussten, nicht mal weinen dürfen, müssen sie mit dem Terminator verwandt sein.

    Ärgere dich nicht, jedenfalls nicht zu sehr. Deine Arbeit ist toll, und es gibt viele, die da ganz meiner Meinung sind. Deine Helden sind keine Actionhelden aus Hollywood, sondern Menschen mit Emotionen und deswegen sind all deine Geschichten auch packend und hinreißend.

    So, und bevor ich mich jetzt in Rage rede, höre ich auch lieber auf ^^

    Liebe Grüße vom sonnigen Ostseestrand

    • Sandra sagt:

      Oh, über Elyne wurde häufiger gemotzt. 😀 Aber mehr, weil sie so zickig ist. Über meine anderen weiblichen Chars hab ich sonst nirgends negative Stimmen gefunden, das lesbische Pärchen in Splitterseelen ist in Ordnung und dass die Mädels da auch „stark“ sind ebenfalls. Wahrscheinlich werden sie billigend hingenommen, solange ausreichend Kerls da sind …
      Und nein, ich ärgere mich nicht mehr, dafür hab ich mir ja diese „Gedanken“-Rubrik erschaffen – einmmal kräftig auslassen und schon ist alles wieder gut. 🙂

  5. Stine sagt:

    Ach, zickig war sie doch nur am Anfang ^^

    Schön wenn’s hilft…ist für uns auch sehr interessant, an deinen Zwischengedanken teilzuhaben.

    Wie kommt eigentlich dein Alter Ego Sonja voran? (Wenn man mal so frech sein darf zu fragen =P)

    • Sandra sagt:

      Schön, wenn es für euch interessant ist! 🙂

      Sonja kommt im Moment quasi gar nicht voran, da sie, äh, ich, also, wir, wie blöd routieren – morgen geht es auf die BuchBerlin, eine kleine Buchmesse, bei der auch Dead Soft einen Stand hat, den Sanna und ich dann auch mal für zwei Stunden betreuen dürfen. Ich freu mich wie irre auf all die Leute, die ich da treffen werde! Auf der jeweils fünfstündigen Zugfahrt werde ich mein Notizbuch fleißig füllen, was hoffentlich einiges bringt, und ab Montag geht es dann wieder normal voran. 🙂

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